25. April 2024 - 1 Kommentar

Rückblick von Peter Roberts

Einen sehr persönlichen Rückblick auf die Challenge hat uns Crewmitglied Peter Roberts geschickt:

Notizen eines nachdenklichen Engländers

Nachdem unsere gemeinsame Fahrt zu Ende gegangen ist, gehen mir sehr viele Gedanken durch den Kopf. Eine sehr kluge Frau hat mir vor Jahren empfohlen, dass man sich in solchen Fällen die Mühe machen sollte, sich hinzusetzen und diese Erinnerungen aufzuschreiben. Da ich der Meinung bin, dass die Namen nicht so wichtig sind wie die verschiedenen Charaktere dahinter, lasse ich sie einfach weg. Ich bin aber sicher, dass alle Crewmitglieder die Personen erkennen werden.

Ich bin 63 Jahre alt und habe einen mehrfachen Tinnitus in beiden Ohren, sechs verschiedene Töne im rechten Ohr und drei im linken. Dieses Phänomen ist auf Dauer ziemlich lästig, und man kommt auf dumme Gedanken. Es findet ein Dauergespräch im Kopf statt, das ich als einen Dialog zwischen dem „großen“ und dem „kleinen Bruder“ bezeichnen möchte. Der Große ist ein riesiger Miesepeter und der Kleine ein Draufgänger, folglich ist nicht immer Frieden in der Welt, aber mit Hilfe der Firma Bayer überleben wir.

Als der kleine Bruder die „Challenge“ Reise ankündigte, war der große Bruder alles andere als begeistert. Er hatte einfach keine Lust, tagelang seekrank zu sein. Als er dann noch erfuhr, dass wir als Buddy für einen Rollstuhlfahrer fungieren sollten, war die Firma Bayer schon sehr gefordert. Mit diesem Zwiespalt im Kopf traten „wir“ die Reise gemeinsam an.

Unsere Hoffnung lag in den Händen eines 20-Jährigen, aber ob er alles in den Griff bekommen würde, war für den großen Bruder sehr zweifelhaft. Nach zwei Tagen wurde der 20-Jährige seekrank, und weil der kleine Bruder sich nicht aus seinem Bett erheben wollte, wurde zu seiner Genugtuung der große Bruder auch noch krank. Aber zum Glück erschien ein junges, blondes Florence Nightinggale als strahlender Engel und hat die Situation gerettet. Zur absoluten Freude des kleinen Bruders gelang es dem 20-Jährigen in kürzester Zeit, mit heldenhaftem Einsatz den Tagesablauf so zu organisieren, dass sogar der große Bruder zugeben musste, dass alles einigermaßen prima lief.

„Warum in aller Welt“, wollte der große Bruder wissen, „nehmen wir einen Rollstuhlfahrer mit spastischer Lähmung mit, obwohl wir schon genug Ballast an Bord haben?“ Der Rolliheld war ohne Zweifel oft arm dran. Sein Tag fing damit an, dass zwei sehr ungeübte und manchmal obendrein noch ungeschickte Männer ihn aus seinem wohlverdienten Schlaf rissen und Richtung Toilette schleppten. Was ihm als nächstes widerfuhr, als sie die Toilette erreichten, ist zensiert; Es reicht an sich zu sagen, dass wir etwas üben mussten, bis alles so richtig klappte. Bis auf den manchmal nötigen Hilferuf hat unser Rolliheld alles ohne Kommentar über sich ergehen lassen. Anschließend war das Anziehen an der Reihe. Ein nicht ganz ungefährliches Unternehmen, weil seine Finger nicht immer gerade waren, somit hakte es manchmal mit den Ärmeln. Seine Kommentare während des Anziehens waren u. a. „Hast Du gerade was Knacken gehört?“. Es trieb unseren Schützling fast in den Wahnsinn. Endlich angezogen, Zähne geputzt und Haare gekämmt schiebt man ihn in den unteren Gemeinschaftsraum und sagt: „Wir kommen bald wieder“. Prompt hat man ihn jedoch vergessen. Zum Glück fand ihn meistens irgendein Crewmitglied und er war sozusagen wieder gerettet. Da unser Rolliheld nicht immer seine Hände bei sich halten konnte, ist es manchmal zu Engpässen in den Lifts gekommen. Man hat zuerst als „Schiebender“ nicht recht verstanden, warum es nicht weiter ging, bis wir lauthals mitgeteilt bekamen, dass seine Arme langsam ihre Sollbruchstelle erreicht hatten und wir gefälligst aufpassen sollten. Mit dem normalen Spruch „Ein bisschen Schwund gibt’s immer“ ging die Reise weiter. Das Letzte, an das ich mich erinnern kann, ist die Situation, als unsere Rolliheld gemeinsam mit seiner Lieblingsblondine den Lift zur Brücke nutzen wollte: Auf halbem Wege war der Lift stehengeblieben und es hat angefangen zu regnen. Ganz viel Mitleid mit ihm hatte keiner so richtig, da  bekannt war, dass nur einer alleine im Lift fahren durfte. Nach mehreren Minuten und noch mehr Regen hatten wir dann doch Erbarmen und ihn aus seinem Käfig befreit.  Dieser junge Mann ist einfach nicht zu killen, er blieb in allen Situationen freundlich, manchmal laut beklagend, aber immer gut gelaunt; es war eine Wohltat, mit ihm zusammen zu sein. Sogar der große Bruder musste zugeben, dass, wenn einer müde oder schlecht gelaunt war, fünf Minuten mit unserem Rolliheld die Sonne wieder aufgehen ließ.

Wir kommen jetzt zu unserem Prinzessinnen-Paar. Der große Bruder hat sofort gesagt: „Bleib da bloß weg, da gibt es nur Ärger!“, der kleine Bruder meinte, die sehen wenigstens hübsch aus. Mit einem lachenden kleinen Bruderund einem weinenden großen Bruder sind die beiden unter unserer Beobachtung. Es dauerte nicht lange und schon bei der ersten Notfallübung kam direkt die Klage, warum das so sein soll oder musste. Als die Manöver wiederholt werden sollten, war die Stimmung dann endgültig auf Null gefallen. Die erste Nachtwache war interessant, die Prinzessinnen waren als Ausguck eingeteilt, nach wenigen Minuten kam die Frage, da man so gut wie gar nichts sehen konnte, warum sie ihre warmen Betten verlassen hätten und nur blöd rumstehen müssten, schließlich könnten sie noch ein paar Stunden schlafen. Bei der nächsten Spätwache sollte eine der Damen ans Steuer, aber dies, so Ihre Meinung, ginge nicht, da sie keine Ahnung habe, wie so etwas geht. Nach etwas Überzeugungsarbeit ist sie doch am Steuer angelangt und mit etwas Hilfestellung hat sie recht gute Arbeit geleistet. Dabei hat sie über sich und ihr Leben erzählt und was sie für Lebensziele und Hoffnungen hat. Am nächsten Tag sollte unsere andere Prinzessin Küchendienst machen, diesen wollte sie aber definitiv nicht antreten, da es in der Kombüse nicht gut roch und sie keine Lust hatte, da zu arbeiten. Unsere Watch Leader blieben hart und sie musste ihre Schicht dennoch antreten. Später am Tag fragte unser Rolliheld, ob eine der Prinzessinnen ein Buch aus seiner Kabine holen würde, was auch geschah und nach einem kurzen Gespräch fing diese auch an, ihm aus dem Buch vorzulesen. Die Crewmitglieder staunten nicht wenig über dieses Geschehen und fanden ihre Aktion richtig toll. Ich glaube, dass irgendwann mal in der Nacht eine gute Fee erschienen ist und mit ihrem magischen Stab einen Zauberspruch gesprochen hat. Am selben Tag ist die Küchenhilfe zu mir gekommen und bat mich, die Küchenhilfe-Prinzessin zu loben, da sie einen super Job in der Küche gemacht hatte. Ich suche ein Beispiel, um die Verwandlung der beiden zu beschreiben und was mir einfällt, ist ein Wüsten-Kaktus, der anfangs durch seine Stacheln niemand an sich ranlässt, aber beim ersten Regenfall mit einer wunderschönen Blütenpracht aufwartet. Bravo Mädels, wir sind alle stolz auf euch!

Es gab viele Helden, groß und klein, die unsere Crew gebildet haben. Ein Kollektiv von Fremden, die ein Team geschmiedet haben, welches die sieben Meere erobern könnte. Um meine Erinnerung zu festigen, möchte ich noch ein paar nennen, die meinen Aufenthalt besonders geprägt haben.

Der Wissenschaftler mit leuchtenden Augen, der die Fahrt gemacht hat, um Leute zu entdecken, wobei er vielleicht trotz seiner vielen vorherigen Reisen sich selbst nochmals bzw. neu entdeckt hat.

Der Reporter, der eigentlich seine Stärken in Wort und Schrift findet. Er hatte immer einen starken Arm, um im richtigen Moment die Challenge kraftvoll zu unterstützen, die wir gesucht haben.

Der Rollifahrer hat uns gezeigt, dass mit etwas Mut und ein wenig Hilfestellung alles möglich ist, egal wie alt oder jung man ist. Für die Älteren unter uns eine Chance, einen Lebenstraum zu erfüllen. Für die Jüngeren ein Erlebnis, das sie ein Leben lang begleiten wird.

Die Kamera-Damen, die gerackert haben, um einen tollen Film zu drehen. Wer den Film anschaut, nehme sich bitte einen Moment Zeit, um zu notieren, wo sie waren und wann sie wo waren, um diese Bilder einzufangen. Gleichzeitig haben sie Küchendienst geschoben und ihre Wache gestanden. Respekt meine Damen für euren Einsatz!

Wer unten stand und zuschaute, wie unser „Einarmiger“, mein Freund „Ray Charles“ und andere, die nicht so stabil auf ihren Beinen standen oder einfach Höhenangst hatten, den Mast hochgeklettert sind, wird diese Bilder sein Leben lang nicht vergessen.

Unten blieb mein absoluter Lieblingsheld, der Kleinste und vielleicht Mutigste von uns allen. Ich weiß noch, wie er an der Reling stand und vor sich hinschaute. Seine Körperhaltung sagte, ich bleibe hier, seine Augen sagten, ich will nach da oben. Wie viele Leute genau um ihn versammelt waren, weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur, dass alle seinen Namen riefen, bis sein Adrenalinspiegel (ich bin kein Arzt, aber ich schätze es so ein) soweit angestiegen war, dass er sein Klettergeschirr anzog und sich bereit machte, nach oben zu gehen. Wir standen alle unten und waren gespannt wie ein Flitzebogen; schauten zu, wie er die ersten zögerlichen Schritte machte. Den ersten, zweiten, dritten geschafft, halbwegs eine kleine Pause eingelegt, nicht daneben treten und vor allem undenkbar, jetzt aufgeben. Dann hatte er die Plattform erreicht, nun würde es schwierig, einhakenund weiter geht’s. Oben!!! WIR  sind oben! Er riss die Arme hoch, aber wir jubeln mit. Es ist lange her, seitdem ich erwachsene Männer mit Tränen in den Augen gesehen habe, aber so stark sind die Emotionen, wenn man dass Gefühl hat, gemeinsam was erreicht zu haben. Ein Junge mit ca. 1,50 Meter Körpergröße ging hoch, ein Mann von 1,90 Metern kam wieder herunter und strahlte heller als ein 1.000 Watt-Glühlampe. Einfach ein fantastischer Moment!

Unsere Chefin, die dürfen wir nicht vergessen. Sie war ständig bemüht, die deutsche Sprache einzusetzen, wo es nur ging. Ihren Lieblingsspruch, wenn es um die wichtigen Sachen ging, werdet Ihr sicherlich nie vergessen:

„If we get this wrong then the mast will catch fire, the sails will burn, the ship will sink and we all die!”

Das Meiste müssen wir richtig gemacht haben, da wir alle noch am Leben sind.

Bei Reisen, die etwas länger dauern, kann es sein, dass wir schlechte Nachrichten von zu Hause bekommen, die uns sehr treffen. Zu Hause in unserer vertrauten Umgebung ist es einfacher mit derartigen Situationen klarzukommen, alleine und  unterwegs ist es umso schwieriger.

Dieses Schicksal hat einen von unseren Mitreisenden getroffen und er musste entscheiden, seine Trauer alleine zu tragen oder Unterstützung in der Gruppe zu finden, die Ihm weiterhilft. Ich hoffe sehr, dass er die gesuchte Hilfe auch gefunden hat. Von seiner Ausstrahlung nach wenigen Tagen glaube ich, dass dies der Fall war. Da ich in dieser Zeit keine große Hilfe sein konnte und selber aus eigener Erfahrung weiß, wie lange solche traurigen Ereignisse anhalten können, möchte ich jetzt die Gelegenheit nutzen, einen kleinen Beitrag zu leisten, indem ich ein Zitat aus der Geschichte „IfA der Drache“ nachgebe.

IfA saß auf seinem Hügel und schaute runter ins Tal. Ramona war seit mehreren Tagen tot, aber seine Trauer hing noch wie ein Bleimantel auf seinen Schultern. Er sah, wie Lily den Weg hochkam, sie sammelte wie immer ihre Kräuter, war glücklich und sang dabei ein Lied. Dieses Bild von Ungetrübtheit störte IfA sehr, Lily war auch eine Freundin von Ramona gewesen. Wie konnte sie so glücklich sein? Als sie sich ihm näherte, rief er ihr entgeistert zu: „Was soll das, wie kannst du singend und lächelnd durch deinen Tag gehen, so schnell nach dem Tod von Ramona? Ich dachte, du hast sie auch gern gehabt?“

Lily schaute IfA an. „Guten Morgen IfA, natürlich war Ramona meine Freundin, aber du irrst dich, sie ist gestorben, aber sie ist nicht tot.“ „Was ist das für ein menschlicher Blödsinn, natürlich ist sie tot. Ich habe gesehen, wie man sie in die Erde gelegt hat.“ schnauzte IfA wütend. Lily setzte sich und fuhr fort: „Jeden Tag sammle ich Kräuter und erinnere mich an die Lehren von Ramona, welche Kräuter für welche Krankheiten gut sind. Ich singe immer, wenn ich arbeite. Viele von diesen Liedern habe ich von Ramona gelernt und wir haben viele schöne Stunden verbracht, gemeinsam und singend unterwegs. Auf diese Weise ist Ramona immer bei mir, sie lebt in meinen Kopf und in meinen Herzen. Tot, IfA, totist sie erst dann, wenn wir sie vergessen haben.“

IfA drehte sich um und schaute erneut runter ins Tal. Er schaute auf das Dorf und das alte Haus von Ramona. Langsam, ganz langsam ging ihm ein Lächeln durchs Gesicht und der Bleimantel wog ein paar Gramm weniger. Er hatte es verstanden.

 

Mein eigenes Leben ist in Abschnitten von ungefähr 10 Jahren abgelaufen. Jedes Mal hat eine Frau einen großen Einfluss darauf gehabt, wie der nächste Abschnitt verlaufen würde. Vielleicht ist es Zeit für einen neuen Abschnitt, ein neues Abenteuer. Die beiden Damen in absolut bestem Alter sind nicht ganz unbeteiligt an dieser Entscheidung. Es ist sehr schön, ein paar Tage verbringen zu dürfen, in der Gesellschaft von zwei Damen, die einfach alles mitgemacht haben. Selbst die manchmal zickigen Ausdrücke von Mitreisenden wurden souverän und mit wenigen Worten abgeschmettert, ohne dabei unfreundlich zu werden. Sie waren stets freundlich, hatten Spaß an meiner Musik und lachten über meine Witze. „The Power of  the Pen“.  Die Macht der Wörter wird manchmal unterschätzt und ich frage mich, ob einer der Damen klar ist, wie viel Motivation und Energie sie durch einen sehr freundlichen  Blog-Eintrag erzeugt haben. Wir werden es erleben.

Ziel für mich ist es, dieses, was wir angefangen haben, auf jeden Fall fortzusetzen. In welcher Form, das wissen momentan nur die Götter. Der Anfang für mich ist bereits gemacht: Ich bin als Watch-Leader nominiert und bestätige, meine erste Fahrt im März nächsten Jahres anzutreten, wobei die Reise von Malta nach Monaco gehen wird. Darüber freue ich mich riesig. Ich hoffe, dass mein erster Watch von Leuten, wie Ihr es seid, besetzt sein wird, dann habe ich leichtes Spiel.

Zum Schluss bleibt mir nur noch, mich bei allen Beteiligten zu bedanken, dass ich Euch in einem kleinen Lebensabschnitt begleiten durfte und hoffe, Euch allen entweder auf den sieben Meeren oder in Duisburg wieder begegnen zu dürfen.

Ein langes Leben und viel Glück wünscht

Peter Roberts

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